24.10.2022

Materialphysik in der Schwerelosigkeit

Höhenforschungsrakete Mapheus-12 hob in Nordschweden ab und erreichte eine Höhe von 260 Kilometern.

Vergangenen Freitag um 9:25 Uhr startete die Forschungs­rakete Mapheus-12 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) von der schwedischen Raketen­basis Esrange nahe Kiruna. Sie erreichte eine Höhe von rund 260 Kilometern und segelte dann an einem Fallschirm zurück zur Erde. Mit an Bord erstmals Nervenzellen mit Blick auf deren abweichende elektrische Signale in Schwere­losigkeit. Zudem untersuchte das Forschungsteam im Zusammenhang mit der Entstehung von Krebs, wie sich die Polarität von Zellen unter „Zero-G“ verhält. Einen Testlauf unter Weltraum­bedingungen gab es mit dem Flug für neuartige Solarzellen ebenso wie für eine Verschlüsselungs­technik, die zukünftig Daten von Lebenserhaltungs­systemen und Raumfahrzeugen schützen soll. Erstmals kam eine wieder­verwendbare Zündeinheit in der Oberstufe zum Einsatz.

Abb.: Die 1,6 Tonnen schwere Rakete hob vom Startplatz Esrange in Nordschweden...
Abb.: Die 1,6 Tonnen schwere Rakete hob vom Startplatz Esrange in Nordschweden ab und erreichte eine Höhe von 260 Kilometern. (Bild: DLR)

„Mit Mapeus-12 haben wir ein äußerst vielseitiges Experiment­paket für rund sechs Minuten in die Schwere­losigkeit des nahen Weltraums befördert und anschließend sicher geborgen“, sagt der wissen­schaftliche Projektleiter der Mission Thomas Voigtmann vom DLR-Institut für Material­physik im Weltraum. „Wir sind froh die sensiblen Nervenzellen, Meeres­organismen und Material­experimente in gutem Zustand nach idealem Flug zurück auf der Erde zu haben.“ Nach ihrem fünfzehn­minütigem Flug landete die Nutzlast sanft per Fallschirm rund siebzig Kilometer vom Startplatz entfernt in der nordschwedischen Tundra. Anschließend flog ein Bergungsteam zur Landestelle und trans­portierte die Nutzlast am Hubschrauber hängend zurück zur Startbasis. Dort begann direkt die Sicherung der gesammelten Daten.

Die 11,5 Meter lange und mehr als 1,6 Tonnen schwere Rakete ist bereits die zwölfte, die im Rahmen der Mapheus Experiment­reihe erfolgreich von der Abteilung Mobile Raketenbasis (MORABA) der DLR Einrichtung Raumflugbetrieb und Astronauten­training gestartet wurde. „Diesmal hatte die zweistufige Rakete erstmals ein neues Service-Modul an Bord, das eine zehnmal schnellere Kommunikation mit der Bodenstation und präzisere Lage­informationen mit komplett neu gestalteter Elektronik, Mechanik und Software bietet“, erklärt Projektleiter Alexander Kallenbach. „Das neue Modul dient nun als Basis für die weitere Entwicklungen in Richtung intelli­genter on-board Systeme, die im Mapheus-D Projekt geplant sind.“ Zudem kam erstmals eine wieder­aufbereitete Zündeinheit bei der Oberstufe zum Einsatz, die bereits an Bord von Mapheus-9 geflogen war.

Am Boden kam mit der Mission erstmals ein neuartiges Telemetrie-System zum Einsatz. Dieses ermöglicht die an verschiedenen Boden­stationen empfangenen Signale der Rakete direkt an die jeweiligen Steuerungs­konsolen für Experimente und Support­systeme zu verteilen. Diese neue Entwicklung basiert auf Komponenten des Holistic Control Centers (HCC), welches eine moderne, flexible und Service-orientierte Infrastruktur für alle künftigen Raumflugmissionen am Deutschen Raumfahrt-Kontroll­zentrum (GSOC) bieten wird. „Wir sind begeistert, dass die Software jetzt erfolgreich Ihren Jungfernflug absolvieren konnte“, sagt Felix Huber, Leiter der DLR Einrichtung Raumflug­betrieb und Astronauten­training. „Dieser Erfolg gibt dem HCC-Konzept den nötigen Schub, nun bald auch bei orbitalen Missionen genutzt zu werden.“

Ihren Jungfernflug erlebten auch die Nervenzellen an Bord. Diese konnten während des Kurzzeit­raumfluges direkt auf elektro­physiologischer Ebene untersucht werden. Das neuronale Netzwerk des Experiments MEA (Multi-Elektroden-Array) besteht dabei aus kultivierten Primär­neuronen, die sich über zwei Chips verteilen. Diese finden in einer vakuumdichten Kammer bei 37 Grad Celsius ideale Lebens­bedingungen vor. „Während des Fluges konnten die Aktionspotentiale einzelner neuronaler Zellen sowie die Aktivität des gesamten Netzwerks aufgezeichnet werden“, berichtet Christian Liemersdorf vom DLR-Institut für Luft- und Raufahrt­medizin. Die Schwerelosigkeit steht im Verdacht, Einfluss auf die neuronalen Verbindungen im Gehirn zu nehmen. „Vermutlich ist dies ein wesentlicher Grund, warum Astro­nautinnen und Astronauten während ihres Aufenthalts im Weltall oftmals unter gewissen kognitiven Einschränkungen leiden“, ergänzt Liemersdorf. „Wir werten die gesammelten Daten nun detailliert aus, um diese möglichen Zusammenhänge genauer zu verstehen.“ Wegen der Empfind­lichkeit der Neuronen war es bisher nicht möglich auf der Internationalen Raumstation ISS mit diesen zu experimentieren.

Der nur 0,5 Millimeter kleine Meeres­organismus Trichoplax adhaerens – das einfachste mehrzellige Lebewesen der Welt – kann zwischen oben und unten unterscheiden und damit Schwerkraft wahrnehmen. Rund 450 Exemplare dieser Kleinst­lebewesen, die lediglich aus einem oberen und einem unteren Zell-Epithelium bestehen, flogen im Experiment GraviPlax mit Mapheus-12 ins All. Im Interesse des internationalen Forschungs­teams steht, wie der Organismus genetisch auf die Schwere­losigkeit reagiert und wie sich daraus etwas über die Mechanismen der Krebsentwicklung lernen lässt. „Trichoplax adhaerens besitzt alle wichtigen Gengruppen, die mit dem Verlust der Polarität und damit der Ausbildung von Krebszellen in Zusammenhang gebracht werden können“, erklärt Jens Hauslage vom Institut für Luft- und Raumfahrt­medizin. Damit lassen sich Erkenntnisse auch auf höhere Organismen übertragen. 

Huckepack auf der GraviPlax-Platine reist der Versuchsaufbau des Experiments 007/Blofeld, bei dem gemeinsam mit dem Industrie­partner adesso SE die Sicherheit verschlüsselter Sensor-Datenströme unter Weltraum­bedingungen getestet wird. „In Raum­fahrzeugen und Lebens­erhaltungssystemen nimmt der Betrieb und die Überwachung von Umwelt- und Vital­parametern eine immer größere Rolle ein. Dabei ist nicht nur eine abhör­sichere Verbindung zu den Sensoren, sondern auch die Validität der Daten besonders wichtig.“, erklärt Software Architekt Christian Kahlo. Für den Versuch greift ein implementierter „Spion“-Chip ver­schlüsselte Temperatur­daten ab. Dieses Experiment soll zeigen, das selbst abgehörte Daten für den Spion nicht zu verwenden sind und die Daten für den Empfänger valide bleiben.

Darüber hinaus wird im Experiment Ramses gemeinsam mit der Universität Konstanz in einem Analog­system die gerichtete Bewegung von Bakterien untersucht, was zukünftig einmal hilfreich bei der gezielten Einbringung pharma­zeutischer Wirkstoffe sein könnte. Im Projekt SVALIN analysiert ein Forschungsteam der TU München federführend wie die Umgebungs­bedingungen im All neuartige auf Mapheus-12 montierte Solarzellen beeinflussen. Gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für neue Materialien wird im Experiment SOMEX/ARNIM-II die Agglo­meration von Gold-Nanoteilchen in Schwere­losigkeit mit Blick auf zukünftige Anwendungen in der Mikro­elektronik untersucht.

DLR / JOL

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